Kurz: Mit einem Fuß bin ich raus und stehe aber noch eine Weile im Türrahmen und plaudere mit ein paar wenigen verbliebenen Twitterern, bevor ich meinen Account dort lahmlege. So würde ich meine momentane Haltung zu Twitter zusammenfasse. Die Party ist vorbei, aber ein paar hier noch aktive Buddies möchte ich nicht missen.
Eine Session auf dem BarCamp Stuttgart im Juli ging darum, wo wir mit der Social Media Landschaft mittlerweile stehen vor dem Hintergrund, dass die meisten von uns mit Twitter in den ganzen Spaß hinein gewachsen sind. Und das Simmungsbild war verheerend. Zumindest was Twitter betrifft. Ein Bisschen ausgleichend wurde gesagt, dass sich nun die kleineren Interessensgruppen dezentral zusammenfinden.
Aber genau das ist nicht was ich suche. Twitter war die wunderbare Melange aus verschiedensten Charakteren mit unterschiedlichsten Hintergründen, Haltungen, Skills und Stilen an einer Stelle. Genau das hat es so attraktiv für mich gemacht. Wir Neugierigen haben uns auf einmal um ein großes digitales Lagerfeuer zusammengefunden und daraus etwas wirklich tolles gemacht. Da waren Polizisten, Mediziner, Juristen, Marketingleute sowieso und vieles mehr. Und jeder, der sich als solche(r) zu erkennen hab war in der Regel auch ansprechbar für Fragen oder Feedback. Wann hat man schon mal einen direkten Draht zu einem Journalisten wie Armin Wolf? Ich selbst habe mich gern als DB-ler geoutet und geholfen wo ich konnte mit Auskünften oder Kontakten, die ich herstellen könnte bis es den offiziellen Kanal gab.
Die frühen Tage
Mein Einstieg war so früh, dass ich anfangs noch mit dem Blackberry am Start war und mit dem Nick „ksauer“ gestartet bin, um dann später mit „sauerstoff“ weiter zu machen. Das Zeichenlimit war 140 und Retweets wurden mit einem Copy-manuelles RT einfügen-Paste eingeführt, bevor Twitter es zu einer nativen Funktion mache. Bilder wurden per Twitpic noch hinzugefügt.
Lustig waren die Zeiten, in denen sich so mancher aufgeschwungen hat und meinte, den anderen erklären zu müssen wie denn bitte schön zu twittern ist. Ein „Guten Morgen!“ wurde da direkt angeprangert. Sweet. Auch gab es leidenschaftlich unterschiedliche Haltungen dazu, was denn nun das Folgen und (Au weia) das Ent-folgen denn so bedeutete. Das war mitunter so drollig, dass ich mich zu einem Blogpost dazu habe hinreißen lassen. Ein anderes Thema war immer wieder die persönliche Definition der eigenen Privacy Policy.
Als sich das mal alles eingeschwungen hatte haben sich Traditionen gebildet, die sehr lange gehalten haben. Anfangs habe ich jeden Tag mit einem „Justus, Peter und Bob: Bringt mich zu Morpheus!“ beendet und das nach ein paar Wochen einmal vergessen, woraufhin hin mich am nächsten Morgen irritierte Nachrichten erreichten, was denn da bitte los gewesen sei. Andere hatten das quasi für sich auch als Zeitsignal genommen und das fehlte auf einmal. Melanie hat zuverlässig jedes Fussballspiel kommentiert, etc.
Sehr cool waren die Location Based Services, die sich irgendwann dazu gesellt haben und wunderbar mit Twitter zu kombinieren waren. Die Battles um Mayorships von vielbesuchten Orten! Foursquare war ein wunderbares Beispiel. Sei es der Check-in von Daniel Rehn, der in meiner direkten Nachbarschaft zwei Bier bestellte in dem Wissen, dass ich gerade nach Hause gekommen war (Dank Check-in) und dass ich mich nach seinem Check-in direkt zu ihm gesellen würde, weil wir uns so selten sehen. Oder meine teure Taxifahrt mit einem Lokführer nachdem ich in Stuttgart nach einem Unwetter mit dem Zug gestrandet war und so dann doch noch nach hause kam. Da haben einige bis 4:30 mit geschaut und kommentiert.
Um Twitter herum ließen sich auch wunderbar spannende kleine Projekte starten. Der DB-Locator, mit dem Jochen und ich Menschen in Zügen zusammengebracht haben. Mindestens eine reale Beziehung haben wir so gestiftet. Oder unsere Twitter-basierte Einkaufsliste!
Viele Bekanntschaften, Freundschaften und Beziehungen sind über Twitter entstanden und gibt es noch heute! Bis hin zu solchen Konstellationen, das ich Twitter-Buddies, die ich noch nie oder nur einmal in meinem Leben getroffen habe um Rat zu lebensverändernden Themen frage. Grüße nach Düsseldorf und nach Göteborg!
Neben dem Digitalen traf man sich auch gern und häufig persönlich. Sei es bei BarCamps oder pl0gbars regional oder bei der Anfangs noch für mich attraktiven re:publica alle zusammen in Berlin. Sagenhafte Abende in der Kalkscheune und in den ersten Jahren am Gleisdreieck!
Twitter war für mich über all die Jahre die technologische Basis, die mich mit so vielen tollen Menschen zusammengebracht hat. Das hat mich immer in persönlich schwierigen Zeiten begleitet und manchmal davor bewahrt komplett durchzudrehen! Die regelmäßigen langen Zugfahrten zwischen Vorarlberg und Frankfurt hätte ich ohne Twitter nicht so gut überstanden. Konkrete Hilfe von einzelnen gab es immer wieder wie selbstverständlich von vielen.
Now what?
Alles in allem macht es mich sehr traurig wie die Plattform in die Grütze geritten wurde und ich wollte es langen ich wahr haben. Auch, weil meine Timeline bis zuletzt clean von Bullshit war. Da funktionieren die Echokammer-Algorithmen schon beeindruckend. Twitter hat mir wahnsinnig viele tolle Menschen in mein Leben gebracht und dank Twitter bin ich besser durch persönlich schwere Zeiten gekommen. Die anfängliche 140-Zeichen-Beschränkung hat mich trainieren lassen, Dinge auf den Punkt zu formulieren. Das hilft mir heute noch im Job! Aber nun bin ich mit einem Fuß raus und schaue mir an, wann es Zeit ist, meinen Account stillzulegen.
Den Großteil meiner Tweets habe ich dank Lucas Tutorial und Script gelöscht und wenn es soweit ist flushe ich den Rest und lasse den Account leer stehen. Soll ja nicht irgendwer als „sauerstoff“ hier für komische Sachen sorgen. Mir ist völlig klar, dass X meine Tweets noch in irgendwelchen Backups hat oder gar nur ein ‚deleted‘ Flag an meine Tweets gehängt hat. Aber was mer mache kann, macht mer halt, odä? Ich werde noch eine Weile hier und auf Bluesky parallel posten, bis die meisten meiner wichtigsten Followings hier verschwunden sind. Dann gibt es den @sauerstoff aktiv nur noch dort. Andere Plattformen kommen für mich nach ausgiebigen Tests nicht in Frage.
Mit dem Abgesang auf Twitter in Form eines Blogposts geht ironischerweise auch mein Abgesang auf Blogs einher. Ich habe hier massiv eingedampft und Posts aus der Sichtbarkeit genommen und früher oder später mache ich hier vielleicht alle Schotten dicht. Schaumerma.